| | | | | | | 8. Oktober 2025 - Ausgabe 12 | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen Astrophysiker, Autor der Sternzeit | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, liebe Weltraumfans, 35 Milliarden Euro – fünf-und-drei-ßig! – sollen in den kommenden fünf Jahren in militärische Raumfahrtprojekte fließen. Das verkündete Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich auf dem Weltraumkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Ich saß im Publikum und spürte, wie ein Ruck durch den Saal ging. Dass die Zeitenwende so vehement im Weltraum ankommt, hat viele überrascht. Dabei geht es nicht um Waffen in der Umlaufbahn, sondern vor allem um Satellitennetze zur Frühwarnung, Aufklärung und Kommunikation. | | | | | | | | | | Kommunikationssatelliten in der Umlaufbahn (hier ein Intelsat) sind strategisch wichtig und wecken daher immer auch das Interesse gegnerischer Staaten (Illustration). (Boeing) | | | | | | Der Erdorbit ist schon lange kein romantischer Platz mehr, an dem ein paar Satelliten friedlich ihre Bahnen ziehen und Astronauten lustige Purzelbäume schlagen. Über unseren Köpfen toben genau die Auseinandersetzungen, die wir auch auf der Erde erleben. Allerdings sind dort Russland und China unsere direkten Nachbarn. Satelliten dieser Staaten kommen denen aus Deutschland, Frankreich und anderen befreundeten Staaten oft sehr nahe. Manchmal sind dies zufällige Begegnungen aufgrund der verschiedenen Umlaufbahnen. Zum Teil geht es aber auch um bewusste Provokation oder gezieltes Ausspähen. | | | | | Satelliten-Attacken aus Russland und China | | | | | So begleiten russische Aufklärungssatelliten zwei kommerzielle Intelsats, über die nach Angaben des Ministers Daten der Bundeswehr laufen. Auch China demonstriert immer wieder bei „Luftkämpfen“ in der Umlaufbahn die eigene Stärke. Gegnerische Staaten können unsere Satelliten stören, blenden, kapern oder zertrümmern. Die Bundeswehr soll künftig so etwas frühzeitig erkennen und sich gegebenenfalls wehren können. Dafür sind Satelliten zur Überwachung des Weltraums und zum Gegenschlag notwendig. Abschreckung ist auch im Orbit unerlässlich. Während Sie diesen Newsletter lesen, ziehen mehr als ein Dutzend russische und chinesische Militärsatelliten über Mitteleuropa. Um auf Augenhöhe zu operieren, muss Deutschland viel besser erkunden, was die Gegner tun. Dafür sind ganze Satellitennetze nötig – Einzelstücke helfen wenig. Für Aufklärung mit Bildern und Radardaten ziehen die Satelliten meist in etwa 750 Kilometern Höhe um die Erde und brauchen anderthalb Stunden für eine Runde um unseren Planeten. So ein Satellit hat einen bestimmten Punkt am Boden nur für wenige Minuten im Blick. Nach anderthalb Stunden ist er zwar einmal um die Erde herumgezogen, aber er überfliegt nicht dieselbe Region – denn die Erde hat sich in der Zwischenzeit um gut 20 Grad nach Osten gedreht. Um also mehrmals täglich jeden Punkt der Erde zu erfassen, sind Dutzende Satelliten auf verschiedenen Bahnen nötig. Der Einsatz unterschiedlicher Technik ist geboten: Optische Kameras zeigen gestochen scharf die Vorgänge am Erdboden, sind aber auf Tageslicht und gutes Wetter angewiesen. Radarsysteme - Deutschland gehört hier weltweit zu den technisch führenden Nationen - zeigen gegnerische Aktivitäten auch bei Nacht und Nebel. | | | | | Achillesferse Satellitennetze | | | | | Ein ganz entscheidender Punkt: Die Satelliten im Weltraum und die Kontrollzentren am Boden müssen gegen Cyber-Angriffe gewappnet sein. Kaum jemand weiß, dass der erneute russische Angriff auf die Ukraine 2022 mit einer Hacker-Attacke auf einen Kommunikationssatelliten begonnen hat, um die ukrainischen Streitkräfte zu schwächen. Unsere moderne Gesellschaft ist von Satellitennetzen abhängig – und die seien, betonte Herr Pistorius, unsere Achillesferse. Das stimmt leider: Fielen plötzlich alle Navigationssatelliten aus, so brächen binnen Stunden Stromnetze und Computernetzwerke zusammen – die hochpräzisen Zeitsignale dieser Satelliten sind der Puls der synchronisierten digitalen Welt. Ohne Galileo und GPS kein Internet, kein Geldautomat, kein Strom. | | | | | | | | | | Das Galileo-Navigationsnetz ist eine europäische Erfolgsgeschichte. Die Satelliten für die präzise Orts- und Zeitinformation sind kritische Infrastruktur und müssen künftig noch besser geschützt werden (Illustration). (ESA, J. Huart) | | | | | | Im Weltraumlagezentrum der Bundeswehr in Uedem am Niederrhein wird die Situation in der Umlaufbahn überwacht. Bei einem Besuch dort war ich beeindruckt vom hoch motivierten Team, das sich um die himmlischen Gefahren kümmert. Einst ging es vor allem um Weltraumschrott, erdnahe Asteroiden und Sonnenstürme. Heute spielt die Bedrohung deutscher Satelliten durch gegnerische Aktivitäten eine immer größere Rolle. Dass die Welt am Boden nicht gerade friedlicher wird, merkt man auch in der Umlaufbahn. Die Bundeswehr braucht daher ein eigenes Weltraumkontrollzentrum, um mit der Satellitenflotte schneller auf eine veränderte Situation zu reagieren. | | | | | Keine Ausreden mehr! Die Industrie muss liefern | | | | | Nun sollen die 35 Milliarden Euro, die im Wehretat und Sondervermögen fest eingeplant sind, dafür sorgen, dass Deutschlands Sicherheit auch im Weltall verteidigt wird, dass wir auch im Orbit kriegstüchtig werden. Nie zuvor stand hierzulande auch nur annähernd so viel Geld für Raumfahrtprojekte zur Verfügung. Sieben Milliarden Euro pro Jahr sind rund das Doppelte des üblichen Umsatzes der Raumfahrtindustrie. Ich bin gespannt, wer die ganzen Satelliten bauen soll – und wie man sie ins All bringt. Marco Fuchs, Chef des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB, sprach in der anschließenden Diskussion von einer „historischen Rede“ von Boris Pistorius. Das kann sie in der Rückschau durchaus sein, sofern die Industrie jetzt auch liefert. Es gibt keine Ausreden mehr: Jahrelang wurde lamentiert, man habe Zeit und Ressourcen, aber bekomme zu wenig Aufträge. Nun wird man mit Geld zugeschüttet – doch die Zeit ist knapp. | | | | | Eigene Raketen für den sicheren Zugang ins All | | | | | Und es braucht nicht nur Satelliten. Denn ist einer gebaut, muss er auch nach oben: Europa braucht viel mehr Ariane-6-Trägerraketen als bisher geplant. Das Nörgeln über die angeblich so schrecklich subventionierte Großrakete gehört bei vielen Leuten in Deutschland leider zum guten Ton. Denen empfehle ich einen Blick über den großen Teich: Auch SpaceX erhält durch viele – üppig bezahlte – Aufträge der US-Regierung einen kräftigen Zuschuss. Die Ariane funktioniert exzellent (Himmelsfans jubeln noch heute, dass die Ariane 5 das James-Webb-Weltraumteleskop so perfekt im All abgesetzt hat, dass sich dessen Lebenszeit mal eben auf 20 Jahre verdoppelt hat!). Sie ist kritische Infrastruktur für unseren Kontinent. Ohne sie wären wir beim Start von großen Satelliten vom Hormonspiegel eines Elon Musk oder Donald Trump abhängig. Gute Nacht! Die Ariane ist ein Glücksfall für Europa! Zudem wetteifern etliche Raketen-Start-Ups in Europa wie Isar Aerospace um Aufträge, um kleinere Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen. Die Mini-Raketen werden die Ariane gut ergänzen, aber niemals ersetzen. Nächste Hürde: Europa braucht Startplätze! Vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana kann nur etwa einmal im Monat eine Ariane abheben. Man wird mittelfristig in einem anderen äquatornahen Land einen weiteren Startplatz brauchen – dann wäre man auch nicht so anfällig für mögliche Sabotage-Attacken. Die Mini-Raketen nutzen zudem einige kleinere Startanlagen in Europa und Übersee. | | | | | | | | | | Europas unabhängiger Zugang zum All: Start der ersten Ariane-6-Rakete im Juli 2024 vom Weltraumbahnhof Kourou an der Nordküste Südamerikas. (ESA – S. Corvaja) | | | | | | Trauerspiel Bundesministerium für Restraumfahrt | | | | | Boris Pistorius ist jetzt eine Art Bundesminister der Verteidigung und Raumfahrt (das entspricht dem Ressortzuschnitt in der EU-Kommission!). Viele Fachleute fragen sich, was eigentlich das Ministerium macht, das neuerdings Raumfahrt im Titel trägt. Es ist ein strategischer Fehler gewesen, die Zuständigkeit für Raketen vom Bundesministerium für Wirtschaft (wo sie seit 2005 lag) wieder auf das Forschungsministerium zu übertragen. Das mag man dort „cool“ finden, aber leider ist das Agieren des – sagen wir, wie es ist – Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Restraumfahrt alles andere als cool. Vielmehr tobt seit Monaten ein Kampf um Referate und Haushaltsmittel. Der Neuorganisation ist man offenbar kaum gewachsen. Sieben Wochen vor der ESA-Ministerratstagung in Bremen gibt die deutsche Raumfahrtpolitik ein klägliches Bild ab, eine klare Strategie ist nicht zu erkennen. Es gibt im Ministerium sicher auch fachliche Kompetenz und Begeisterung für das Thema, aber man kann es bisher nicht so gut zeigen... Als bei seiner Rede ein Handy im Publikum nicht verstummen wollte, meinte Boris Pistorius trocken: „Mein Klingelton ist cooler.“ In der Tat: Der Minister nutzt die Musik der Science-Fiction-Serie Star Trek (Raumschiff Enterprise). Er sei seit seiner Kindheit Fan. Denn die Star Trek-Besatzung sei zutiefst friedlich im Weltall unterwegs und kämpfe nur zur Verteidigung. Star Trek passt perfekt zur Bundeswehr. | | | | | Horst Holstens Satellitentraum vom Frieden | | | | | Eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Beim Thema Aufklärungssatelliten denke ich sofort an den Raumfahrtingenieur Horst Holsten (1940 – 2013). Die Begegnungen mit ihm zählen zu den eindrucksvollsten meines Berufslebens. Horst Holstens Vater fiel als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Als 1957 der erste Satellit ins All startete, war Holsten Werkzeugmacherlehrling beim Automobilhersteller Borgward in Bremen. Sputnik begeisterte ihn sofort, weil künftig unbemerkte Truppenaufmärsche unmöglich sein würden. Satelliten würden Kriege verhindern, so glaubte er. Horst Holsten wandte sich der Raumfahrt zu und wurde eine der herausragenden Persönlichkeiten bei der Entwicklung der Ariane-Rakete. Der Grandseigneur der französisch-deutschen Raumfahrt – Holsten hat mit seiner Herzlichkeit, Expertise und interkulturellen Kompetenz mehr als einmal das Ariane-Projekt gerettet – beklagte später etwas bitter, dass sich seine Friedenshoffnung bei den Satelliten nicht erfüllt habe. Möge er dieses Mal richtig liegen. | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen berichtet seit mehr als 30 Jahren über Astronomie und Raumfahrt. Am meisten freut er sich über die wunderbaren Bilder der Weltraum-Teleskope Hubble und Webb. Aber derzeit führt kein Weg an einem massiven Ausbau der himmlischen Präsenz der Bundeswehr vorbei. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Der Beobachtungstipp | | | | | | | | | | | | | | | | Der ganz große Bruder der Erde ist der Planet Jupiter. Der Gasriese strahlt unübersehbar im Sternbild Zwillinge, das ab Mitternacht am Osthimmel aufsteigt. In den Nächten zum 13. (hier dargestellt) und 14. Oktober steht der abnehmende Halbmond dicht bei Jupiter und den beiden hellen Sternen Kastor und Pollux – dies ist der wohl schönste Himmelsanblick der kommenden Wochen. (Stellarium) | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Das tägliche Stück vom Himmel | | | | | | | | | | | | Beim Dorf Effelsberg in der Eifel steht ein Radioteleskop mit hundert Metern Schüsseldurchmesser. Es zählt zu den besten Instrumenten der Welt. Damit hat Karl Menten vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn Sternentstehungsgebiete in der Milchstraße erforscht. Ende letzten Jahres ist der große Astronom, dem ich sehr verbunden war, gestorben. Die Sternzeit vom 3. Oktober erzählt von ihm und dem Werden der Sterne im All. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Kartierung der Milchstraße | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie wollen täglich ein Stück vom Himmel hören? Dann abonnieren Sie hier die Sternzeit in der Deutschlandfunk App. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | China schickt Sonden zum Mond, die NASA trainiert für den Mars, Europa tüftelt an der Zukunft der Ariane-Rakete: Wer den Weltraum kontrolliert, profitiert auch auf der Erde. Der Wettlauf im All ist dabei so alt wie die Raumfahrt selbst. Ebenso alt: Die Faszination, die der Weltraum auf die Menschen ausübt - Thema einer aktuellen Ausstellung in Bremerhaven. | | | | | | | | | | | | | Pistorius verspricht 35 Milliarden Euro für Sicherheit im All | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ausstellung „Verlockung im Weltall“ in Bremerhaven | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Raumfahrt: Krieg der Systeme | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ihnen gefällt dieser Newsletter? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Mr. Sternzeit – Der Deutschlandfunk Weltraum-Newsletter | | | | | | © Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts
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