| | | | | | | 22. Oktober 2025 - Ausgabe 13 | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen Astrophysiker, Autor der Sternzeit | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, liebe Weltraumfans, gleich zwei Kometen ziehen gerade „nah“ an der Erde vorbei und zeigen sich am Abendhimmel. So ein Zusammentreffen ist sehr selten. Komet Lemmon hat Dienstag mit 90 Millionen Kilometern den geringsten Abstand zur Erde erreicht. Komet SWAN passierte Montag den erdnächsten Punkt seiner Bahn: Er ist „nur“ 40 Millionen Kilometer entfernt. Trotzdem benötigen Sie ein Fernglas oder kleines Teleskop, um den runden Nebelfleck erkennen zu können. Im Gegensatz zu seinem kosmischen Kollegen, Komet Lemmon. Der ist von einem dunklen Standort aus schon mit bloßem Auge als kleine diffuse Wolke zu erkennen (in einem Fernglas zeigt sich sein schöner Schweif). Ich hatte das Glück, am Wochenende beide bestaunen zu können. | | | | | | | | | | Im Januar 2007 strahlte der Komet McNaught prachtvoll über der Südhalbkugel (rechts der Planet Venus) – hier aufgenommen von der Paranal-Sternwarte im Norden Chiles. So eindrucksvoll werden Lemmon und SWAN leider nicht. (S.Deiries/ESO) | | | | | | Auf viele Menschen üben Kometen eine fast magische Faszination aus: Sie tauchen oft unvermittelt am Himmel auf, galten einst als böse Omen und sind vor Jahrmilliarden zu Zigtausenden auf die Erde gekracht. Wenn immer ein Komet am Himmel auftaucht, fragen mich viele, wie sie ihn beobachten können. Ein paar Tipps gebe ich Ihnen weiter unten bei „Look up!“. | | | | | Schmutzige Schneebälle ganz weit draußen | | | | | Salopp formuliert sind Kometen schmutzige Schneebälle. Manchmal sprechen Fachleute auch von den eisigen Dreckshaufen. Kometen bestehen aus Eis, Staub und Steinchen. Meist sind sie kaum fünf Kilometer groß – astronomisch gesehen also geradezu winzig. Sie sind die Überreste jener Gas- und Staubwolke, aus der vor gut viereinhalb Milliarden Jahren die Sonne und die Planeten entstanden sind. Weit jenseits des äußersten Planeten Neptun ziehen Myriaden dieser Eisklumpen ihre Bahn – bestens konserviert im interplanetaren Gefrierfach. Manche brauchen mehr als zehn Millionen Jahre, um durch die eisige Finsternis im Nirgendwo des Alls ihre Bahn um die Sonne zurückzulegen. Alle Jubeljahre zieht mal ein anderer Stern recht dicht vorbei und schubst einige Eisbrocken auf einen Kurs Richtung inneres Sonnensystem. Geraten die Kometenkerne in die Nähe der Sonne, so heizt sich das Eis auf. Den kleinen Kometenkern umgibt dann eine Gashülle, die oft Hunderttausende Kilometer Durchmesser hat. Das entweichende Gas reißt Staub und Dreck mit. Das Material bildet manchmal Schweife, die sich über Hunderte Millionen Kilometer erstrecken. Den Schweifen verdanken diese Objekte ihren Namen: Komet geht auf das lateinische Wort „coma“, Haar, zurück. In früheren Zeiten war von Haarsternen die Rede. | | | | | | | Deren Auftauchen sorgte einst für Furcht und Schrecken. Denn Kometen störten die himmlische Routine. Der Lauf von Sonne, Mond und Planeten lässt sich gut vorausberechnen – diese Objekte sorgen für keinerlei Überraschungen. Doch Kometen erstrahlten manchmal binnen weniger Tage und boten ein überwältigendes Schauspiel. Ein besonders flammender Komet stand im Frühjahr 1996 am Himmel. Damals zog Hyakutake dicht an der Erde vorbei. Selbst aus der Großstadt war zu sehen, wie der Schweif sich über den halben Himmel (!) erstreckte. Ein Jahr später kam Hale-Bopp. Damals wurde mir klar, dass man – ohne Kenntnis der Vorgänge im Kosmos – so eine Erscheinung durchaus als bedrohlich empfinden kann. | | | | | | | | | | Komet Lemmon am vergangenen Wochenende, aufgenommen mit 110 mm Brennweite und 1,2 Sekunden Belichtungszeit. Der Schweifansatz ist gut zu erkennen. (C.Möller, Almind, Dänemark) | | | | | | So überragend hell werden leider weder Lemmon noch SWAN. Doch wer weiß, was in einem Jahr am Himmel zu sehen ist? Bis auf ein paar periodische Objekte, die sich regelmäßig am Firmament zeigen (wie etwa Halley), sind Kometen auch heute noch Überraschungsgäste. SWAN ist erst am 11. September entdeckt worden, Lemmon Anfang des Jahres. Der nächste „Große Komet“ ist längst unterwegs – die Frage ist nur, wann er am Himmel aufflammt. Für Fachleute sind Kometen so interessant, weil sie noch Reste des ursprünglichen Materials enthalten, aus dem sich einst die Planeten gebildet haben – und irgendwann dann das Leben auf der Erde. Wer Kometen erforscht, erkundet unsere eigene Geschichte. Kometen enthalten Wasser, Kohlendioxid, Ammoniak, Methanol, einfache Aminosäuren und viele andere kohlenstoffhaltige Verbindungen – natürlich alles zu Eis gefroren. Kometen haben einst massenhaft Wasser auf die Erde gebracht und nach manchen Theorien auch andere „lebenswichtige“ Stoffe – denn in den ersten paar hundert Millionen Jahren war unser Planet einem Bombardement von Kometen und Asteroiden (die enthalten mehr Gestein als Kometen, aber oft auch viel Eis) ausgesetzt. Was heute eine Katastrophe wäre und alles höhere Leben auslöschen würde, war damals ein Geschenk des Himmels. Wer sich ein Glas Wasser einschenkt, trinkt letztlich etwas „Kometensaft“. | | | | | Brachten Kometen Wasser – und Leben? | | | | | Natürlich gibt es all das vom Himmel gefallene Material noch heute auf der Erde. Aber hier wurde es in Milliarden Jahren stark umgearbeitet, aufgeschmolzen, chemisch verändert etc. Im Bild gesprochen: Die Erde ist der gebackene Kuchen. In Kometen gibt es noch die Zutaten zum Teig. Daher wollen Fachleute Kometen so detailliert wie möglich untersuchen. Bisheriger Höhepunkt war die ESA-Mission Rosetta, die 2014 den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko erreicht hat. Die Tochtersonde Philae, ein grandioses Projekt unter Leitung von Stephan Ulamec vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist erstmals auf einem Kometen gelandet. Rosetta und Philae sind für Europas Raumfahrt, was die Mondlandung für die NASA ist. Ein Geniestreich. Bei der Landung durfte ich im DLR dabei sein. Selten hat mich jemand so beeindruckt wie Stephan Ulamec. Kometen wie SWAN und Lemmon, die spontan auftauchen, sind für einen Raumflug nicht geeignet. Die Vorwarnzeit ist zu kurz. Dafür werden jetzt viele Teleskope auf die beiden gerichtet, um aus der Entfernung die chemische Zusammensetzung zu untersuchen. | | | | | Schnell weltberühmt werden? Mit einem Kometen! | | | | | Nach guter Tradition werden Kometen nach den Personen (oder den Himmelsüberwachungsprogrammen) benannt, die sie entdecken. Lemmon wurde auf Aufnahmen des Mount Lemmon Survey gefunden. Ein 1,5-Meter-Spiegelteleskop erfasst regelmäßig große Teile des Himmels. SWAN wiederum ist ein Instrument auf dem Sonnensatelliten SOHO, das den Kometen nahe der Sonne aufgenommen hat. SOHO hat schon mehr als 5000 (!) Kometen erspäht – die meisten sind nur Tage später in die Sonne gestürzt. | | | | | | | | | | Badeente im All? Komet Tschurjumow-Gerasimenko (etwa vier Kilometer groß) besteht aus zwei Teilen, die über eine Materiebrücke verbunden sind. An etlichen Stellen schießen Gas und Staub wie Geysire ins All. (ESA/Rosetta/Navcam) | | | | | | Tschurjumow-Gerasimenko wurde 1969 von Klim Tschurjumow (1937-2016) und seiner Doktorandin Swetlana Gerasimenko (1945-2025) bei einem Beobachtungsaufenthalt auf der Sternwarte im kasachischen Alma-Ata entdeckt. Kaum jemand würde die beiden heute kennen, wäre nicht ihr Komet Ziel der Rosetta-Philae-Mission geworden. In den 1960er Jahren, so wird berichtet, hat der Japaner Kaoru Ikeya, gezielt nach Kometen gesucht, um so seiner Familie zu einem guten Ruf zu verhelfen. Mit einem selbstgebauten Teleskop suchte der junge Mann viele Nächte lang unermüdlich den Himmel ab. Nach der Entdeckung etlicher sehr lichtschwacher Kometen gelang ihm tatsächlich der große Wurf: Unabhängig von seinem Landsmann Tsutomu Seki entdeckte er einen Kometen, der zunächst nur in einem lichtstarken Fernglas zu sehen war. Bereits einen Monat später strahlte der nach den Entdeckern benannte Komet gut sichtbar am blauen Tageshimmel! Die beiden Japaner hatten einen der hellsten Kometen überhaupt entdeckt. Ikeya-Seki zog in knapp 500.000 Kilometern Abstand an der Sonne vorbei und leuchtete fast so hell wie der Vollmond. Wochenlang war der Komet auch nachts mit auffälligem Schweif zu sehen. Ikeya-Seki ist längst wieder in den Tiefen des Kosmos verschwunden. Erst in knapp achthundert Jahren zeigt er sich erneut an unserem Himmel – und wird der Familie des Herrn Ikeya erneut viel Aufmerksamkeit bescheren. | | | | | Der Stern von Bethlehem war kein Komet | | | | | Da mich in den Lebensmittelgeschäften schon seit Monaten Lebkuchen und Spekulatius nerven, kann sich auch dieser Newsletter kurz Weihnachten widmen. Die Botschaft wirdallerdings nicht allen gefallen. Noch immer glauben viele, zur Geburt Jesu habe ein besonderes Gestirn am Himmel gestanden. Dieses Gerücht geht auf die Weihnachtsgeschichte des Matthäus zurück. Kaum eine Krippenszene kommt heute ohne Komet aus. Das wiederum liegt am italienischen Maler Giotto di Bondone. Der hat 1304 in einem Fresko in der Arena-Kapelle in Padua einen Kometen über den Stall von Bethlehem gemalt. Offenbar hatte ihn drei Jahre zuvor die imposante Erscheinung des Kometen Halley beeindruckt. Sein Gemälde gilt als erste naturalistische Darstellung eines Kometen überhaupt. Zum Dank benannte Europas Weltraumorganisation ESA eine Raumsonde nach ihm: Giotto. 1986 zog sie an Halley vorbei. Dieser berühmteste aller Kometen zeigt sich etwa alle 76 Jahre am Himmel. Das nächste Mal 2061. Durchhalten! | | | | | | | | | | Alle Jahre wieder: Einen Weihnachtskometen gibt es nicht am Himmel, wohl aber im Backofen. (Lorenzen) | | | | | | Giotto di Bondone hat ein zauberhaftes Bild gemalt. Aber der Stern von Bethlehem ist eine reine Ausschmückung der Weihnachtsgeschichte ohne astronomischen Hintergrund. Weder ein Planetentreffen noch eine Supernova oder gar ein Komet haben die Geburt von Jesus Christus angekündigt. Kometen passen ohnehin nicht: Denn sie galten damals als Unglücksboten. Bevor jetzt der Proteststurm losbricht: Guy Consolmagno, der Chef der Päpstlichen Sternwarte, sieht das genauso. Ich hatte mal das Vergnügen, ihn besuchen zu dürfen. Der Jesuit amüsiert sich über die Versuche mancher Menschen, unbedingt eine astronomische Erklärung zu finden. Es gehe nicht um den Stern – es gehe um die Botschaft, für die er steht. Wenn es Sie beruhigt: Auch ich freue mich jedes Jahr zur Adventszeit über Kometen-Dekorationen – und ich backe traditionell einen weihnachtlichen Fruchtkuchen in Kometenform... Mit himmlischen Grüßen Dirk Lorenzen | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen berichtet seit mehr als 30 Jahren über Astronomie und Raumfahrt. Als Jugendlicher hat er 1986 Halley am Himmel gesehen. Mit ganz, ganz viel Glück wird er 2061 „Two Timer“ (vor allem in den USA spielt dies eine große Rolle) – also jemand, der den berühmten Kometen bei zwei Erscheinungen beobachtet hat. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Der Beobachtungstipp | | | | | | | | | | | | | | | | Komet Lemmon ist etwa anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang als diffuser Lichtfleck am westlichen Firmament zu erkennen. Gelb markiert sind die ungefähren Positionen bis Monatsende. Guter Ausgangspunkt der Suche ist der helle Stern Arktur im Bärenhüter (links unterhalb des Großen Wagens). In einem Fernglas ist ein kurzer Schweif des Kometen zu sehen. Bitte seien Sie nicht zu enttäuscht, wenn die Suche erfolglos bleibt. Für Laien ist es nicht so einfach, den Kometen am Himmel auszumachen. Sollten Sie einen versierten Astrofan kennen, so bitten Sie ihn um Hilfe. Berichten Sie uns gern, wie es Ihnen bei der Kometensuche ergangen ist! (Stellarium) | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Das tägliche Stück vom Himmel | | | | | | | | | | | | Kein Glück mit Lemmon? Dann versuchen Sie es mit den Halley-Sternschnuppen der Orioniden! In diesen Tagen kreuzt die Erde die Bahn des Kometen Halley. Auf der sind Staub und Steinchen verstreut. Treten die in die Atmosphäre ein, sehen wir eine Sternschnuppe am Himmel. Wie Sie den Halley-Staub aus dem Sternbild Orion am besten beobachten können, erklärt die Sternzeit vom 18. Oktober. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Halleys Sternschnuppen aus dem Orion | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie wollen täglich ein Stück vom Himmel hören? Dann abonnieren Sie hier die Sternzeit in der Deutschlandfunk App. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Skorpione sind leidenschaftlich, Steinböcke die geborenen Betrüger: Die Astrologie bietet einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Wer allerdings zu sehr darauf setzt, riskiert einiges. Außerdem: Wie kommt Europa zukünftig ins All? Oder womöglich zu anderen Sternen? | | | | | | | | | | | | | Warum glauben wir an Sternzeichen als Liebeskompass? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Was kommt nach der Ariane 6? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Werden interstellare Reisen in Zukunft möglich? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ihnen gefällt dieser Newsletter? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Mr. Sternzeit – Der Deutschlandfunk Weltraum-Newsletter | | | | | | © Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts
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