| | | | | | | 19. November 2025 - Ausgabe 15 | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen Astrophysiker, Autor der Sternzeit | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, liebe Weltraumfans,
in der vergangenen Woche war die Sonne (im November eine eher seltene Himmelserscheinung) sogar nachts zu sehen – zumindest indirekt: als Polarlicht. Explosionen auf der Sonne haben Unmengen energiereicher Teilchen ins Planetensystem geschleudert. Als diese Teilchenwolke über die Erde hinwegfegte, glühte am Himmel das Polarlicht. Unsere Sonne erscheint nur im sichtbaren Licht als harmlose gelbe Kugel. Tatsächlich ist sie ein sehr dynamisches Objekt. Sie versorgt uns seit Jahrmilliarden zuverlässig mit Licht und Wärme – aber sie schießt auch mit tödlicher Strahlung um sich. Am Erdboden schützt uns das Magnetfeld der Erde – selbst vor einem möglichen „Superflare“. So ein gewaltiger Strahlungsausbruch könnte aber mal eben die Satelliten in der Erdumlaufbahn zerstören. Unsere technische Zivilisation bräche rasant zusammen. | | | | | | | | | | Überall „zischt“ und „pfeift“ es: So dynamisch sieht unsere Sonne im Ultraviolett-Licht aus. Lokale Magnetfelder sorgen für die markanten Materiebögen. Es ist alles in Bewegung: Die Sonne dreht sich in etwa vier Wochen einmal um ihre Achse. (Solar Dynamics Observatory/NASA) | | | | | | Die Sonne ist eine riesige glühende Gaskugel. Ihr Durchmesser beträgt 1,4 Millionen Kilometer – durch das Sonneninnere könnte man eine Schnur spannen, auf der 109 Erden aufgereiht sind. Sie besteht aus der typischen „kosmischen Mischung“: zu etwa drei Vierteln aus Wasserstoff, zu einem Viertel aus Helium (weil dieses Element zuerst auf der Sonne entdeckt wurde, heißt es nach dem griechischen Sonnengott Helios). Dazu kommen „Spurenelemente“ wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen, Blei, Gold, Uran etc. | | | | | | | Der Stern vor unserer Haustür ist ein famoses Kraftwerk: Im Zentrum der Sonne fusioniert Wasserstoff zu Helium. Pro Sekunde verschmelzen rund 560 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 556 Millionen Tonnen Helium. Wo bleiben die fehlenden vier Millionen Tonnen? Die werden als Energie abgestrahlt. Nach Einsteins berühmter Gleichung E=mc2 (Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit ins Quadrat) werden vier Millionen Tonnen Materie zu Strahlung – pro Sekunde wird unsere Sonne um vier Millionen Tonnen leichter! Zudem pustet die Sonne pro Sekunde noch etwa eine Million Tonnen geladene Partikel ins All (die u.a. für die Polarlichter sorgen). Aber keine Sorge: Der Sonne geht keineswegs der Saft aus. Diese Effekte führen selbst über die solare Lebenszeit von rund zehn Milliarden Jahren (fast die Hälfte hat die Sonne schon hinter sich) nur zu einem Masseverlust von etwa 0,5 Promille. Das ist so, als würde die Sonne mal eben Haare und Nägel schneiden. Im Zentrum der Sonne herrschen etwa 15 Millionen Grad Celsius. Der Druck ist dort über 200 Milliarden Mal höher als auf der Erdoberfläche. Erst bei diesen infernalischen Bedingungen läuft die Kernfusion ab. Nur so lassen sich Wasserstoffkerne dazu zwingen, miteinander zu verschmelzen; denn wegen der gleichen Ladung stoßen die sich eigentlich ab. Manche träumen, das Sonnenfeuer in einem Kraftwerk auf der Erde nachzustellen. Ja, das wäre die Lösung fast aller Energieprobleme – nur ist es leider extrem schwierig. Nach einem Physik-Kalauer ist die Kernfusion die Energiequelle der Zukunft – und bleibt das auch immer. | | | | | Kochendes Wasser auf dem kalten Herd | | | | | An der Oberfläche ist die Sonne „nur“ etwa 6000 Grad Celsius heiß. Die dünne Sonnenatmosphäre darüber, die Korona, hat dagegen mehr als eine Million Grad. Das ist so, als würde auf einer lauwarmen Herdplatte ein Topf mit kochendem Wasser stehen. Klar ist, dass Magnetfelder eine bedeutende Rolle spielen, um das Heizen der Korona zu erklären. Wie genau das funktioniert, ist aber bis heute offen. Die NASA-Sonde Parker Solar Probe nähert sich derzeit alle paar Monate der Sonne (das nächste Mal am 12. Dezember) auf bis zu sechs Millionen Kilometer, um „vor Ort“ die Korona zu erforschen. Die Analyse der Daten läuft – ich bin gespannt, was wir über die Sonne lernen werden. | | | | | | | | | | Sonnenblumen von Vincent van Gogh? Nein, Sonnenflecken größer als die Erde! Die körnige Sonnenoberfläche entsteht durch das Auf- und Absteigen der Gasblasen. In einem Video dieser Szene wäre zu erkennen, dass alles brodelt und in Bewegung ist. (Institute for Solar Physics, Stockholm) | | | | | | | | Im Jahr 2000 wurden auf der Tagung der Internationalen Astronomischen Union in Manchester Videosequenzen des damals ganz neuen NASA-Satelliten Trace vorgestellt. Auf den im Ultravioletten aufgenommenen Filmen ist die Oberfläche der Sonne ein einziges Brodeln. Glühendes Material strömt wild hin und her. Gasmassen schießen empor, zucken erratisch, drehen sich und reißen auseinander. Immer wieder entkommen glühende Fetzen in den Weltraum, während andere Wolken zurück auf die Sonne stürzen. Auf mich wirkten die Sequenzen, als sei die Sonne fast ein lebender Organismus. Selbst Fachleute konnten nicht fassen, was sie dort zu sehen bekamen. Ein Zwischenrufer meinte konsterniert, für die Theoretiker, die dasmit ihren Modellen erklären sollen, gäbe es im Foyer einen psychologischen Notdienst. So rätselhaft die Sonne ist, so zuverlässig ist sie auch. Die Einstrahlung auf die Erde hat sich in den vergangen viereinhalb Milliarden Jahren nicht dramatisch verändert. Wäre das anders gewesen, so hätte hier niemals das hoch entwickelte Leben entstehen können. Ohne die Sonne wäre auf der Erde alles nichts – kein Wunder, dass sie oft kultisch verehrt wird. Würde die Sonne jetzt erlöschen, so ginge gut acht Minuten später bei uns das Licht aus (so lange braucht das Licht für die 150 Millionen Kilometer von der Sonne zur Erde). Es wäre dunkel und binnen einer Woche auch bitterkalt. Ohne Sonne würden nach einem Jahr die Ozeane zu Eis und nach etwa zehn Jahren wäre es so frostig, dass der Sauerstoff in der Atmosphäre ausfrieren und als Schnee zu Boden fallen würde. Dann nützt auch der schönste beheizte Bunker nichts mehr. Aber keine Sorge: Es steht nicht zu befürchten, dass die Sonne demnächst verlischt. | | | | | Stürzt die Erde in den Roten Riesen? | | | | | Nach den Theorien der Sternentwicklung nähert sich die Sonne erst in etwa fünf Milliarden Jahren ihrem Ende. Dann bläht sie sich auf und wird zum Roten Riesen. Der verschluckt auf jeden Fall die beiden inneren Planeten Merkur und Venus. Das Schicksal der Erde ist noch offen. Vielleicht macht auch unser Planet einmal „Zisch“ und verschwindet in den glühenden Massen. Vielleicht schafft er es auch, als verkohlte Kugel durch die sehr dünnen Außenbereiche (die sind fluffig wie Zuckerwatte) des aufgeblähten Sterns zu ziehen. Wie auch immer: Spätestens dann wird es hier eher ungastlich. | | | | | | | | | | So sieht die Sonne im sichtbaren Licht aus: In einem Rhythmus von etwa elf Jahren zeigen sich mal mehr und mal weniger Sonnenflecken. Diese Gebiete sind durch magnetische Effekte etwas kühler und erscheinen daher schwarz, auch wenn sie etwa 4000 Grad Celsius heiß sind. (SDO/NASA) | | | | | | Eine kleine Anmerkung zur Sonnenstrahlung: Immer wieder hört man, der Klimawandel auf der Erde sei durch verändertes Verhalten der Sonne zu erklären, die mal heißer, mal kälter strahle. Vor etwa fünfzehn Jahren meinten ganz Eifrige, wir stünden unmittelbar vor einer Phase der „kalten Sonne“, was zu einem Rückgang der Temperaturen führen würde. Offenbar hat die Sonne das nicht mitbekommen – jedenfalls ist von der prognostizierten Abkühlung keine Rede. Die Sonne ist gerade besonders aktiv. Ihre Strahlung schwankt minimal im Rahmen eines elfjährigen Zyklus. Im Mittel hat sie sich über das letzte Jahrhundert nicht verändert – dagegen ist die Temperatur auf der Erde stark angestiegen. Wer immer den Klimawandel der Sonne zuschreiben will, ist wohl von physikalischen Detailkenntnissen unbelastet. | | | | | Die „böse“ Seite der Sonne | | | | | Die Sonne verwöhnt uns mit Licht und Wärme. Doch es gibt auch die andere Seite: Gewaltige Eruptionen schleudern Wolken energiereicher Teilchen ins All. Trifft uns so eine Wolke, ist die Erde wie ein Stecknadelkopf, über den eine riesige Kaugummiblase hinweg saust. So hat es mir mal Volker Bothmer beschrieben, Sonnenphysiker an der Universität Göttingen und Mitarbeiter im Team der Parker Solar Probe. Bei so einem Sonnensturm brechen schon mal Stromnetze am Boden zusammen. Zudem entstehen Polarlichter, die in Grün- und Rottönen am Himmel tanzen. Bei starken Ausbrüchen sind die auch von Mitteleuropa aus zu sehen. Am 1. September 1859 bemerkte der englische Astronom Richard Carrington bei Routinebeobachtungen der Sonne zwei grelle weiße Flecken in der Nähe dunkler Sonnenflecken. Gut 17 Stunden nach diesem außergewöhnlichen Weißlicht-Flare registrierte ein Messgerät in London extreme Störungen des Erdmagnetfelds. Selbst in Venezuela waren noch Polarlichter zu sehen. Telegrafenleitungen schlugen Funken oder verglühten komplett. Nach einem Tag war der Spuk vorbei. Beim „Carrington-Ereignis“, wie die Fachleute sagen, hat vermutlich der stärkste Sonnensturm seit gut 500 Jahren die Erde getroffen. Die Wolke geladener Teilchen war mit mehr als 2000 Kilometern pro Sekunde Richtung Erde gerast. | | | | | | | | | | So schön wie hier über Island leuchtet das Polarlicht nicht immer. Mein hochgeschätzter Kollege Dieter Sürig von der Süddeutschen Zeitung hat dieses Polarlicht mit den typischen Vorhangstrukturen etwas unterhalb des Großen Wagens erwischt. (Sürig) | | | | | | Ein solarer Supersturm zerstört Satelliten | | | | | Damals waren die Folgen überschaubar. Sollte es heute zu einem Carrington-Ereignis kommen, so hätte das fatale Folgen für unseren technischen Alltag: Auf ganzen Kontinenten könnten Stromnetze ausfallen – und in der Erdumlaufbahn würden elektronische Bauteile von Satelliten zerstört. Plötzlich gäbe es weder Wolkenbilder noch GPS-Signale, Satelliten-Kommunikation, Hubble- oder Webb-Beobachtungen oder Daten militärischer Aufklärungssatelliten. Daher wird die Vorhersage des „Weltraumwetters“, wie man die Sonnenstürme nennt, immer wichtiger. Zwar behalten die Fachleute die Sonne im Auge – aber bei einem Supersturm gäbe es bestenfalls einige Stunden Vorwarnzeit. Wir wären ihm ziemlich hilflos ausgeliefert. Zum Glück gibt es solche Ausbrüche wohl nur ein- bis zweimal pro Jahrtausend. Die Frage ist aber nicht, ob uns die Sonne auf diese Weise mal wieder ihre Macht spüren lässt – die Frage ist nur, wann das geschieht. Glück auf! Zum Schluss möchte ich noch einen meiner „Helden“ erwähnen. Der griechische Philosoph Anaximander von Milet hat schon im sechsten Jahrhundert vor Christus versucht, das vermeintlich göttliche Leuchten der Sonne zu erklären. Für ihn war die Sonne ein Wagenrad mit hohler Felge, in der Feuer brennt. Durch ein Loch im Rad dringt Feuer nach außen, das wir als Sonne sehen. Zu einer Finsternis kommt es laut Anaximander, wenn das Loch des Sonnenfeuers verstopft. Natürlich hat diese Erklärung nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Dennoch hat damals die Astrophysik begonnen. Denn Anaximander hat offenbar als erster versucht, die Vorgänge am Himmel mit Dingen zu erklären, die auf der Erde bekannt waren. Er holte die Astronomie vom Himmel, vertrieb das Mystische und machte sie fast schon zur Naturwissenschaft. | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen berichtet seit mehr als 30 Jahren über Astronomie und Raumfahrt. Mit einem speziellen Sonnenteleskop beobachtet er gerne die Explosionen auf unserem Stern. Der Polarlicht-Kontrollblick an den Nordhimmel gehört zu seinen Routinen in klarer Nacht. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Der Beobachtungstipp | | | | | | | | | | | | | | | | Im vergangenen Newsletter ging es um den Sinn und Unsinn der Internationalen Raumstation. Die ISS ist jetzt gut am Abendhimmel zu sehen. Sie zieht als strahlend heller Lichtpunkt (sie blinkt nicht!) grob von West nach Ostüber den Himmel und ist bei jedem Überflug für etwa vier Minuten zu sehen. Donnerstag, 20. November: 17.28 h. Freitag, 21. November: 18.16 h, Samstag, 22. November: 17.28 h. Wenn Sie mögen, winken Sie densieben Personen in den Modulen zu – die freuen sich! Auf länger belichteten Aufnahmen hinterlässt die ISS eine Leuchtspur, wie hier am Himmel über der dänischen Insel Fanø zu sehen ist. (Christian Möller) | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Das tägliche Stück vom Himmel | | | | | | | | | | | | Nicht nur die Teilchenstrahlung der Sonne erreicht uns. Auch handfeste Asteroiden fliegen uns um die Ohren. Kurz vor Weihnachten 2032 haben wir aber Glück. Der 60 Meter große Brocken 2024 YR4 wird die Erde verfehlen, könnte aber auf dem Mond einschlagen, erklärt die Sternzeit vom 17. November. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Kosmischer Einschlag auf dem Mond | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie wollen täglich ein Stück vom Himmel hören? Dann abonnieren Sie hier die Sternzeit in der Deutschlandfunk App. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Die Trägerrakete New Glenn hat zwei Marssonden erfolgreich auf den Weg gebracht. Damit etabliert sich Jeff Bezos‘ Raumfahrtunternehmen Blue Origin als Konkurrent zu Elons Musks SpaceX - mit potenziellen Folgen für künftige Mond- und Mars-Missionen. Und für Europas Rolle beim Wettlauf ins All. Außerdem: Wie sich der Sound moderner Kampfdrohnen in den Köpfen der Opfer festsetzt. | | | | | | | | | | | | | Blue Origin schickt zwei Sonden zum Mars | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Fly me to the moon: Europas Rolle beim neuen Wettlauf ins All | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Wie der Drohnenkrieg in die Ohren kriecht | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ihnen gefällt dieser Newsletter? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Mr. Sternzeit – Der Deutschlandfunk Weltraum-Newsletter | | | | | | © Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichenRechts
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