| | | | | | | 4. Dezember 2025 - Ausgabe 16 | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen Astrophysiker, Autor der Sternzeit | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, liebe Weltraumfans, 22,3 Milliarden Euro für drei Jahre – eine Rekordsumme. Der ESA-Ministerrat, das Treffen der verantwortlichen Raumfahrtpolitiker der ESA-Mitgliedsstaaten, hat gut fünf Milliarden Euro mehr bewilligt als beim letzten Treffen 2022 – und ermöglicht damit geradezu einen Neustart für Europas Raumfahrt. Die ESA beginnt die Arbeiten an Satellitennetzen, die ausdrücklich sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Die ESA beschafft deutlich mehr Raketen als bisher. Die Arbeiten an den Weltraumobservatorien LISA (Gravitationswellen) und NewAthena (Röntgen) gehen weiter. Zudem ist die Zukunft des Rovers ExoMars gesichert – und in ferner Zukunft könnte eine ESA-Sonde sogar in den Geysiren des Saturnmonds Enceladus nach Leben suchen. Ein großer Wurf: So machen Raumfahrt und Politik Spaß! Ach ja. Ganz nebenbei wurde auch noch verkündet, dass der erste Mensch aus Europa, der Richtung Mond fliegt, aus Deutschland kommen wird. Dazu später mehr. | | | | | | | | | | Investitionen in Höhe von 22,1 Milliarden Euro – so war es bei der Abschlusspressekonferenz auf einem Monitor zu lesen. Als man später noch einmal nachgerechnet hat, wurde es sogar noch etwas mehr. Dorothee Bär (rechts), Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, ESA-Chef Josef Aschbacher (Mitte) und der neue ESA-Ratspräsident Adolfo Urso (links) freuen sich. (Lorenzen) | | | | | | Dass die Zeit des friedlichen Idylls in der Umlaufbahn schon lange vorbei ist, ist endlich auch in der Raumfahrt- und Haushaltspolitik angekommen. Die ESA hat das Programm zur weltraumgestützten Widerstandsfähigkeit (European Resilience from Space) aufgelegt. Mehr als hundert Satelliten sollen um die Erde kreisen und Vorgänge am Boden beobachten, Navigationsdaten liefern, für sichere Kommunikation sorgen, mögliche Störsignale erfassen etc. Die Europäische Kommission fordert, dass Europa im besten Fall alle 30 Minuten jeden Ort der Erde möglichst detailreich abbilden kann – eine Auflösung von unter einem Meter ist längst Standard. Nach der Vorarbeit der ESA wird die Europäische Kommission das Projekt ab 2028 mit neuem Haushalt übernehmen. Auch bei der EU werden die Ausgaben für Raumfahrt dramatisch steigen (müssen). Dies alles macht Europa unabhängiger (z.B. von den Launen der US-Politik) und widerstandsfähiger gegen Attacken von außen. | | | | | Zivile Daten für die Armee | | | | | Der Schlüsselbegriff ist „dual use“, die doppelte Nutzung – zivil und militärisch. Satelliten zur Erdbeobachtung – in diesem Gebiet ist die ESA Weltspitze! – erfassen zum einen, wo der Regenwald gerodet wird oder ein Gletscher abbricht. Dieselben Satelliten erkennen aber auch Panzer im Gebüsch oder Truppenbewegungen. Natürlich nutzt das Militär diese Daten. Auch der Wetterbericht der Bundeswehr basiert auf den Bildern der Meteosat-Satelliten, denen wir den Wolkenfilm in der Wetter-App verdanken. Zur Klarstellung: Es geht nicht um Waffen im All. Die darf die ESA gar nicht bauen. Satelliten, die etwa gegen feindliche Satelliten vorgehen, müssen sich die Bundeswehr, die französischen Truppen oder wer auch immer selbst zulegen. Es geht bei der ESA rein um das Nutzen von Daten. Galileo, Europas Navigationsnetz, wird zivil betrieben, aber auch militärisch genutzt – dagegen hängt die Verfügbarkeit des amerikanischen GPS vom Hormonspiegel einiger US-Generäle ab. Die Unterscheidung zwischen zivilem und militärischem Projekt wirkt inzwischen oft völlig künstlich. Salopp gesagt: Eine Molkerei wird nicht dadurch zur Waffenschmiede, dass man in den Kasernen Milch trinkt. Dies ist inzwischen auch in vielen europäischen Weltraumköpfen angekommen. | | | | | | | | | | Ob Unwetter, Waldbrände, Gletscherschmelze, Luftverschmutzung, militärische Aufklärung: Europa braucht ein viel besseres Satellitennetz (Illustration), um im Weltraum und am Boden unabhängig zu werden und Gefahren abzuwehren. (ESA) | | | | | | Der deutschen Delegation beim ESA-Ministerrat war besonders wichtig, die ESA bei Raketen neu aufzustellen. Es wird mehr Starts von Ariane- und Vega-Raketen geben, man setzt künftig aber auf mehr Wettbewerb. Bei der European Launcher Challenge sollen sich Startups mit ihren Kleinraketen um Aufträge für den Start von ESA-Missionen bewerben. Kleine Firmen brauchen schnell Vertrauen und feste Startzusagen. Nur so ist übrigens ein gewisser Elon Musk mit seinem Raumfahrtunternehmen groß geworden. SpaceX hat 2008 einen milliardenschweren Auftrag über Frachtdienste zur ISS bekommen, als das Unternehmen nach drei Fehlschlägen genau einen erfolgreichen Flug seiner kleinen Rakete Falcon 1 vorweisen konnte. Die große Falcon 9 wurde erst entwickelt, als die NASA längst Frachtflüge gebucht hatte, für die diese Rakete unerlässlich ist. „Die NASA hat uns gerettet“, hat Elon Musk mehrfach betont. Man kann über den Unternehmer denken, was man will. Aber in diesem Punkt war er immer sehr ehrlich. Wagemut wie einst bei der NASA ist jetzt bei der ESA, der Bundeswehr oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt nötig. Auch der Bundesrechnungshof braucht da noch eine Lernkurve und muss gewisse Risiken akzeptieren. Kleine Unternehmen wie Isar Aerospace, Rocket Factory Augsburg oder HyImpulse können sonst kaum bestehen. | | | | | | Gravitationswellen-Astronomie und Enceladus-Leben | | | | | | Die Kernmarke der ESA ist die Wissenschaft. Dieser Bereich – zuletzt oft von realen Kürzungen betroffen – legt nun um mehr als drei Prozent pro Jahr zu. Ein Highlight ist LISA, die Laser Interferometer Space Antenna. Drei Satelliten spannen ein großes Dreieck im All auf und erfassen die Gravitationswellen verschmelzender Galaxien und anderer dramatischer Ereignisse im Universum. ExoMars könnte 2028 endlich zum roten Planeten starten und dort nach Lebensspuren suchen. Erst musste man auf russische Teile verzichten, dann drohte die NASA zum unsicheren Ersatzpartner zu werden. Doch nun scheint alles auf Kurs – die wankelmütige US-Weltraumbehörde hat zugesagt, die Rakete, Radioisotopenbatterien und das Bremssystem für die Landung zur Verfügungzu stellen. So sehr uns der Mars faszinieren mag: Noch vielversprechender für die Lebenssuche ist der Saturnmond Enceladus. Unter einem dicken Eispanzer gibt es dort mehr flüssiges Wasser als auf der Erde! Am Südpol schießen durch Risse im Eis Geysire in den Weltraum. Die will die ESA mit einer Raumsonde erforschen, Ankunft etwa im Jahr 2052 – der Newsletter wird zu gegebener Zeit darauf zurückkommen. | | | | | | | | | | Der beste Kandidat für außerirdisches Leben im Sonnensystem ist nicht der Planet Mars, sondern der Saturnmond Enceladus. Dort schießen Geysire aus Wasser und kohlenstoffhaltigem Material ins All, aufgenommen von der Raumsonde Cassini und dem James-Webb-Weltraumteleskop. (NASA/ESA/CSA) | | | | | | Wir sind Mond! Vielleicht, irgendwann | | | | Das war in aller Kürze das Wichtigste aus Bremen vom ESA-Ministerrat. Aber natürlich gab es noch ein sehr emotionales Thema: Der erste Mensch aus Europa, der Richtung Mond fliegt, wird aus Deutschland kommen. Kleiner Schönheitsfehler: Es ist noch nicht klar, wann dieser Flug stattfinden wird – und es ist völlig offen, wer dann an Bord ist. Derzeit kämen nur Alexander Gerst und Matthias Maurer in Frage – sollte der Flug aber erst etwa 2035 stattfinden (was keineswegs unmöglich ist), könnten auch die beiden deutschen Frauen im ESA-Reservecorps, Amelie Schoenenwald und Nicola Winter, erfahren genug sein. Es geht übrigens nicht um eine Landung auf dem Mond – es geht um einen Flug zum Lunar Gateway. Das ist eine geplante Raumstation in der Mondumlaufbahn. | | | | | „Wir streben an, dass eine deutsche Astronautin oder ein deutscher Astronaut im Rahmen einer internationalen Mission zum Mond fliegt.“ Diesen Satz aus dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat Dorothee Bär, die Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, beeindruckend umgesetzt. Respekt. Es war der Mondmoment ihrer bisher nicht nur glücklichen Zeit im Ministerium. Das Haus hat Probleme, sich zu sortieren. Aber es gibt Hoffnung: Seit dieser Woche leitet der Ex-Astronaut Thomas Reiter die Raumfahrt- und Sicherheitsabteilung. Da kann fast nichts mehr schief gehen. Wenn einer die deutsche Raumfahrt ebenso kompetent wie inspirierend auf den richtigen Weg zu bringen weiß, dann Herr Reiter. | | | | | Es fehlen nicht Astronauten – es fehlen Lehrkräfte! | | | | | Frau Bär betonte bei der Bekanntgabe des Mondfluges, dass man mit so einer Mission die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) stärken wolle. Die seit Jahrzehnten zu hörende Behauptung, dass astronautische Raumfahrt für mehr Nachwuchs in diesen Fächern sorgt, ist eine Wandersage (um den Begriff Lebenslüge zu vermeiden) der Raumfahrt – Belege dafür habe ich noch nicht gesehen. Es gibt aber etliche Gegenbeispiele, die ich gerne noch einmal nenne: Finnland, Island und Singapur haben keinerlei Probleme mit Nachwuchs in MINT-Fächern, aber nicht einen Astronauten. Dem MINT-Nachwuchs hierzulande wäre bestimmt viel besser und nachhaltiger geholfen, wenn man endlich die Schulen besser ausstattet. Dass wir in diesem Bereich offenkundig Probleme haben, liegt nicht an zu wenig Astronauten – es liegt an zu wenig Lehrerinnen und Lehrern und dem mangelnden Unterricht in Mathematik, Physik und Chemie. Man kann gerne beides machen – zum Mond Fliegen und die Schulen verbessern. Aber man sollte bitte mit offenen Karten spielen. | | | | | | | | | | Noch ein kühner Traum: Das Lunar Gateway (Illustration) soll eine kleine internationale Raumstation unter Führung der USA in der Mondumlaufbahn werden. In einigen Jahren könnten eine Astronautin oder ein Astronaut aus Deutschland dorthin reisen. (ESA, Lochtenberg) | | | | | | Zum Mond? Weil es Spaß macht! | | | | | Warum traut sich niemand zu sagen, dass man zum Mond fliegt, einfach weil es Spaß macht, weil uns großartige Blicke auf Mond und Erde faszinieren, weil man damit unsere Grenzen weiter hinausschiebt und dem menschlichen Entdeckergen folgt? Mehr Mut, liebe Verantwortliche der astronautischen Raumfahrt! Es ist doch keine Schande, etwas einfach aus Freude zu tun. Dagegen ist das Betonen von Forschungsaktivitäten nicht sehr überzeugend.
Wissenschaftlich ist für Menschen in der Mondumlaufbahn nicht viel zu holen. Die Module dort sind genauso schwerelos wie die im Erdorbit. Experimente zur Mikrogravitation kann man billiger in 400 Kilometern als in fast 400.000 Kilometern Höhe machen. Ja, man kann von dort besser auf den Mond gucken, aber das geht auch mit Raumsonden. Kurz: Man fliegt nicht wegen der Wissenschaft zum Mond. Für die treibenden Kräfte bei der Rückkehr zum Mond, die USA und China, geht es vor allem um Machtdemonstration – so war es einst auch bei Apollo, nur waren damals die USA und die Sowjetunion im Rennen. Neil Armstrong hätte beim Betreten des Mondes völlig zutreffend sagen können: „Dies ist ein kleiner Schritt für die Wissenschaft, aber ein Riesensprung für das politische Prestige.“ Wie wäre es, wenn mal jemand aus Deutschland sagt: "Ich fliege zum Mond, weil es mir Spaß macht – und für die Sendung mit der Maus." | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen berichtet seit mehr als 30 Jahren über Astronomie und Raumfahrt. Er hat viele ESA-Missionen intensiv verfolgt, etwa die Reise der Raumsonde Cassini zur Erforschung Saturns. Ihn begeistern die Geysire auf Enceladus – mit viel Glück erlebt er noch die Ankunft der neuen ESA-Sonde dort. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Der Beobachtungstipp | | | | | | | | | | | | | | | | Vor uns liegt die längste Vollmondnacht des Jahres. In der Nacht zu Freitag erreicht der Mond um 00.15 Uhr MEZ die volle Phase. Am Bodensee steht er gut 17 Stunden am Himmel, an der dänischen Grenze sogar 19 Stunden! Mehr geht nicht. Bis zum Wochenende erleben wir faszinierende Mondnächte. In den Nächten zum 7. und 8. Dezember steht unser Trabant in der Nähe des strahlend hellen Planeten Jupiter. (Lorenzen) | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Das tägliche Stück vom Himmel | | | | | | | | | | | | Seit 17 Jahren bringt Markus Scheumann die Sternzeit ganz wunderbar zum Klingen. Jetzt endlich ist der Schauspieler, der nach sechs Jahren amWiener Burgtheater wieder am Schauspielhaus Zürich tätig ist, selbst Astronom! Jedenfalls spielt er im Stück „Il Gattopardo“ einen Fürsten, der eine Privatsternwarte betreibt. Davon und von der einstigen Bedeutung vermögender Astrofans für die Himmelskunde erzählt die Sternzeit vom 29. November. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Kometenentdeckung am Zürcher Schauspielhaus | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie wollen täglich ein Stück vom Himmel hören? Dann abonnieren Sie hier die Sternzeit in der Deutschlandfunk App. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie suchen eine echte Herausforderung? Dann erforschen Sie die unendlichen Weiten des Universums - oder den menschlichen Geist. Rausch, Ekstase, Gotteserscheinungen - wenn Sie diese Grenzerfahrung des menschlichen Bewusstseins verstehen wollen, dann empfehlen wir Ihnen den Podcast "Die Psychonauten". Außerdem war Alexander Gerst letzte Woche im Deutschlandfunk zu Gast - vielleicht wird er der erste deutsche "Mond-Astronaut". Und: Die Startrampe von Baikonur ist Sinnbild für die Zuverlässigkeit russischer Raumfahrt - jetzt gab es eine Panne mit gravierenden Folgen. Viel Spaß beim Hören wünscht die Redaktion! | | | | | | | | | | | | | Die Psychonauten (2/5) Heldinnen und Märtyrer | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Interview Alexander Gerst - Ein Deutscher über dem Mond? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Baikonur: Startrampe defekt | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ihnen gefällt dieser Newsletter? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Mr. Sternzeit – Der Deutschlandfunk Weltraum-Newsletter | | | | | | © Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts
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