| | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen Astrophysiker, Autor der Sternzeit | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, liebe Weltraumfans, der Brocken ist nur wenige Kilometer groß. Er besteht aus Eis und Geröll und ist von einer Gaswolke umgeben. Er kommt von weit her – sehr weit: aus den Tiefen der Milchstraße. Der Komet ATLAS ist viele Lichtjahre entfernt irgendwo bei einem anderenStern entstanden. Von dort hat er sich auf den Weg gemacht und zieht nun – nachdem er Millionen Jahre lang unterwegs war – an der Sonne vorbei. Danach entschwindet er wieder in die Tiefen des Alls. Er wird nie wiederkehren, im Gegensatz zu den anderen uns bekannten Kometen, die im Sonnensystem ihre Bahn ziehen. ATLAS ist erst das dritte „interstellare“ Objekt, wie Fachleute sagen. Daher trägt er die Nummer 3I. | | | | | | | | | | Komet ATLAS, aufgenommen Ende August in einer Entfernung von fast 400 Millionen Kilometern. Während der Beobachtung mit verschiedenen Farbfiltern wurde das Teleskop auf den sich bewegenden Kometen nachgeführt. Daher erscheinen die Sterne im Hintergrund als bunte Linien. (Gemini South, NOIRLab) | | | | | | Er heißt nach der automatischen Himmelsüberwachung, in deren Daten er Anfang Juli gefunden wurde. ATLAS (Asteroid Terrestrial-impact Last Alert System) sucht hauptsächlich nach Objekten, die auf der Erde einschlagen könnten. Auf den Himmelsaufnahmen gibt esaber auch jede Menge Beifang – darunter dieses Objekt. Es gehört nicht zu den Millionen von Asteroiden und Kometen, die um die Sonne ziehen. ATLAS ist nur zu Gast in der solaren Familie: Er bewegt sich auf einer offenen, hyperbolischen Bahn. Planeten, Asteroiden und Kometen laufen üblicherweise auf einer geschlossenen, elliptischen Bahn ewig um die Sonne herum. | | | | | Millionen Jahre unterwegs zu uns | | | | | Interstellare Objekte wird es schon immer gegeben haben – nur fallen sie erst jetzt bei den automatisierten, großflächigen Programmen zur Himmelsüberwachung auf. Es wäre äußerst interessant, so ein Objekt einmal aus der Nähe zu erforschen. ATLAS verrät etwas über die chemischen Bedingungen am Ort seiner Entstehung, wo auch immer der gewesen sein mag. Er zeigt, wie es in anderen Ecken der Milchstraße zugeht. Leider ist die Vorwarnzeit viel zu gering. Man kann nicht binnen weniger Monate eine Raumsonde zu diesem Objekt schicken. Dazu später mehr. Das erste bekannte interstellare Objekt war 2017 'Oumuamua, entdeckt von Hawaii aus. Sein Name heißt in der Sprache der Einheimischen „Der erste Besucher von weit her“. Das passt: Auch 'Oumuamua wird eine lange Reise absolviert haben, bis er bei uns vorbeizog und nun schon wieder fast 50-mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Dieses Objekt hatte 2017 kurzzeitig für Aufsehen gesorgt, weil es sich plötzlich mit etwas erhöhter Geschwindigkeit zu bewegen schien. Damals setzte Avi Loeb, ein theoretischer Kosmologe der Harvard-Universität, die Spekulation in die Welt, 'Oumuamua sei in Wirklichkeit ein Hightech-Raumschiff von Aliens. Belege oder auch nur Indizien für diese – hanseatisch formuliert – bemerkenswerte These, gab es keine. Die Tatsache, dass ein Harvard-Professor von einem möglichen Besuch Außerirdischer sprach, garantierte weltweites Aufsehen. | | | | | 'Oumuamua – der erste von jwd | | | | | Zu den Fakten: Die leichte Beschleunigung von 'Oumuamua lässt sich problemlos durch das Freisetzen von Gasteilchen erklären. Das Objekt hatte sich in der Nähe der Sonne aufgeheizt. Dadurch wurde Gas frei, dessen Rückstoß den Asteroiden minimal beschleunigt hat. Man braucht keine Alien-Technologie, um die Bewegung des Asteroiden zu erklären. Diese Erkenntnis scheint auf Avi Loeb leider keinen Eindruck gemacht zu haben. | | | | | | | | | | Kein gepanzertes Raumschiff, sondern das Fantasie-Bild eines sehr dunklen Asteroiden: 'Oumuamua zog 2017 an Sonne und Erde vorbei. (ESO/M. Kornmesser) | | | | | | Ein großer Spaß ist die Illustration von 'Oumuamua (oben). Der Asteroid dürfte etwa dreihundert Meter groß sein – er blieb in allen Teleskopen ein Lichtpunkt. Immerhin verrät sein periodischer Lichtwechsel, dass er nicht einer Kugel ähnelt, sondern eher länglich geformt ist und rotiert. Ein äußerst begabter Grafiker hat daraufhin dieses Fantasie-Bild erstellt. Niemand weiß, wie 'Oumuamua wirklich aussieht. Aber wir alle ahnen, dass der Illustrator ein großer Fan der Science-Fiction-Serie „Kampfstern Galactica“ ist – denn die Darstellung 'Oumuamuas ähnelt frappierend diesem kosmischen Kampfgerät. Avi Loeb, mit dem ich vor Jahrzehnten auf Kosmologie-Tagungen äußerst interessante Interviews geführt habe und vor dessen kosmologischer Arbeit ich Hochachtung habe, ist offenbar geradezu besessen von seiner Alien-Theorie. Viele in der Astronomie beschäftigt die Frage, woher sein Wandel kommt. Denn für Kosmologen, die die ersten Momente des Universums in Modellen erfassen wollen, sind Asteroiden und Kometen gewöhnlicherweise nichts als unnützer „Dreck“ irgendwo im Vordergrund, völlig ohne Belang. Was schert es Urknall, Dunkle Materie und Dunkle Energie, wenn ein paar Eis- und Gesteinsbrocken durch das Sonnensystem treiben? | | | | | | Auch ein Harvard-Forscher weiß nicht alles | | | | | | Nur drei Wochen nach der Entdeckung von 3I/ATLAS ging es wieder los: Avi Loeb publizierte den ersten Artikel, der nun dieses gerade entdeckte Objekt einer fernen Zivilisation zuschrieb. Seitdem tauchen im Wochentakt neue Texte auf. Diese „Publikationen“ erscheinen nur auf den einschlägigen Servern – und nicht in Fachjournalen, die die Artikel zunächst einem Faktencheck unterziehen. Einfach so auf dem Server können alle publizieren, wozu sie gerade Lust haben. Speicherplatz ist geduldig. Leider vergessen viele – so viel Erstaunen über manche Medien muss ich hier äußern –, dass auch ein Harvard-Professor nicht alles weiß. Eine Professur wird für eine bestimmte Teildisziplin vergeben. Natürlich ist die Wissenschaft frei (wie lange das noch für Harvard gilt, ist aktuell eine andere bedrückende Frage). Und so dürfen alle auch etwas anderes erforschen. Aber man sollte schon genau hinsehen, wer welche Kompetenz hat. Wenn ein exzellenter Altphilologe plötzlich eine neue Methode für eine Herzoperation entwickelt, legt man sich da ja vermutlich auch nicht sofort begeistert auf den Tisch. | | | | | Raumsonde umleiten? Schöne Idee, sachlich unsinnig | | | | | Avi Loeb hat nun vorgeschlagen, man möge doch einfach die Jupiter-Sonde JUNO zu ATLAS schicken. JUNO zieht seit Jahren als künstlicher Mond um Jupiter. Der Treibstoff geht allmählich zur Neige und so wird die Mission bald beendet – durch gezieltes Versenken von JUNO in Jupiters Gasmassen. Die vorgeschlagene Missionsverlängerung zeigt, dass Harvard-Kosmologen durchaus unbelastet von tieferer Kenntnis der Bahnmechanik von Raumschiffen arbeiten können. Bei einer Raumsonde kann man nicht einfach das Lenkrad herum reißen wie bei einem Autoscooter auf dem Jahrmarkt. Man braucht enorm viel Energie (also Treibstoff), um sich aus der Umklammerung Jupiters zu befreien. So viel Sprit dürfte JUNO gar nicht mehr haben. | | | | | | | | | | Die Raumsonde JUNO zieht 2016 um Jupiter herum (Illustration), den ganz großen Bruder der Erde. Eine Fortführung der Mission zum interstellaren Kometen ATLAS ist unmöglich. (NASA) | | | | | | Zudem ist die Bahn von ATLAS um rund 60 Grad gegen die Ebene des Sonnensystems geneigt. JUNO könnte ATLAS nur an einem der beiden Schnittpunkte abpassen – denn aus der Ebene herauszufliegen, braucht Unmengen an Treibstoff. Als wäre das nicht genug: ATLAS zieht „retrograd“ durch das Sonnensystem – also entgegen der üblichen Laufrichtung der Planeten, gleichsam als „Geisterfahrer“. Damit wäre eine Begegnung mit JUNO ein extrem kurzes Vergnügen. Die beiden schössen mit mehr als 70 Kilometern pro Sekunde aufeinander zu – ob JUNO da überhaupt brauchbare Aufnahmen machen könnte, ist mehr als zweifelhaft. | | | | | Der Alien-Unfug nervt nur noch | | | | | Loebs ersten Aufschlag bei 'Oumuamua empfand ich noch als eine charmante Provokation des sehr konservativen Wissenschaftsbetriebs. Doch das Dauerfeuer mit den interstellaren Besuchern rangiert für mich inzwischen nur noch irgendwo zwischen nervig und bemitleidenswert. Ernst nehmen kann man es nicht. Ich freue mich über „verrückte“ Ideen. Manche bringen die Wissenschaft enorm weiter. Aber zur Wissenschaft gehört zwingend, Fakten anzuerkennen und sich nicht blind in eine Lieblingstheorie zu verrennen. Missionarischer Eifer schadet der Wissenschaft. Das Blaue vom Himmel spekulieren kann man immer – es ist nur völlig ohne Aussagekraft. Gerade kommt mir die Idee, dass ich auch mal so eine „Publikation“ verfassen muss. Denn es könnte ja sein, dass die Aliens vielleicht längst auf der Erde sind, getarnt als Harvard-Lehrer... – ach, genug davon. | | | | | Besuch aus der Milchstraße ist bald ganz normal | | | | | Das E.T.-Getöse sollte nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen. In den letzten acht Jahren haben Fachleute drei interstellare Objekte entdeckt. Offenbar ziehen zahllose Eis- und Gesteinsklumpen durch die Weiten der Milchstraße. Sie zischen von einem Stern zum anderen, wie Spielkugeln in einem Flipperautomaten. Auch weit am Rand unseres Sonnensystems werden sich immer wieder Kometenkerne davonschleichen. Sie entziehen sich der Anziehungskraft der Sonne und tragen unsere „Botschaft“ durch das All. Immer mehr Teleskope überwachen großflächig den Kosmos und sie sehen immer schwächere Objekte. Ich bin überzeugt, dass es bald alle paar Monate so eine Entdeckunggeben wird. Besuch von weit her scheint völlig normal zu sein. Klar, die Möglichkeit intelligenten Lebens im All fasziniert uns alle. Wie schön (oder schlimm?) wäre es, wenn wir nicht allein wären! Vor einem halben Jahrhundert hat die Menschheit mit dieser Sehnsucht die „Arecibo-Botschaft“ zum Kugelsternhaufen M 13 geschickt. Wo der am Abendhimmel steht, verrät Ihnen „Look Up!“, der Beobachtungstipp weiter unter. Damit wir die Sterne überhaupt sehen können, muss es nachts dunkel sein. Warum eine dunkle Nacht ohne viel Kunstlicht für uns alle gut ist und dass das viel einfacher zu erreichen ist, als viele glauben, erzählt die Sternzeit vom 17. September. | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen berichtet seit mehr als 30 Jahren über Astronomie und Raumfahrt. Er ist überzeugt, dass es an vielen Stellen im All Leben gibt. Und er freut sich, wenn Avi Loeb mal wieder das macht, was er nahezu perfekt kann: Kosmologie! | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Der Beobachtungstipp | | | | | | | | | | | | | | | | Abends steht das Sommerdreieck im Südwesten. Rechts unterhalb davon leuchtet das Sternbild Herkules mit dem Kugelsternhaufen M 13 (markiert mit einem gelben Fleck). Dorthin wurde 1974 mit dem Radioteleskop von Arecibo ein codiertes Bild gefunkt. In etwa 25.000 Jahren erreicht die Arecibo-Botschaft die Sterne in M 13 und mögliche Planeten dort. Sollten intelligente Wesen von der Nachricht begeistert sein und sofort antworten, hätten wir schon im Jahr 52.000 die Antwort! (Stellarium) | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Das tägliche Stück vom Himmel | | | | | | | | | | | | Viereinhalb Milliarden Jahre lang waren die Nächte auf der Erde dunkel. Damit ist es nun vorbei. In Zeiten günstiger LED-Lampen erhellen immer mehr Lichtquellen die Nacht. Der helle Wahnsinn ist schlecht für Vögel und Insekten. Er macht uns Menschen krank, kostet viel Geld und überstrahlt die Sterne. Eine Nacht ist nur dunkel schön. Dass das ganz einfach zu erreichen ist, erklärt die Sternzeit vom 17. September. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Schluss mit dem hellen Wahnsinn der Nacht | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie wollen täglich ein Stück vom Himmel hören? Dann abonnieren Sie hier die Sternzeit in der Deutschlandfunk App. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Wir haben einen neuen Nachbarn im All! Um den Stern Alpha Centauri A scheint ein Planet zu ziehen. Und: Teleskope auf der Erde und im Weltraum liefern mehr Daten, als Astronomen je auswerten können. Deshalb hilft Künstliche Intelligenz bei der Suche nach Supernovas, fernen Galaxien und Planeten. Findet KI Antworten auf die großen Fragen des Universums? | | | | | | | | | | | | | Planet im Sternsystem Alpha Centauri | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Wie Künstliche Intelligenz den Blick ins All verändert | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Weltraumbahnhof Baikonur | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ihnen gefällt dieser Newsletter? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Mr. Sternzeit – Der Deutschlandfunk Weltraum-Newsletter | | | | | | © Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts
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