| | | | | | | 5. November 2025 - Ausgabe 14 | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen Astrophysiker, Autor der Sternzeit | | | | | | | | | Liebe Leserinnen und Leser, liebe Weltraumfans, seit Anfang November 2000 ist die Internationale Raumstation dauerhaft besetzt. Aber 25 Jahre Dauerpräsenz des Menschen im Weltraum sind kein Grund zum Feiern. Ganz im Gegenteil: Aus dem einstigen Friedens- und Forschungsprojekt ist ein ziemlich sinnbefreites Unterfangen geworden. Die wissenschaftlichen Experimente auf der ISS liegen oft irgendwo zwischen kurios und wenig relevant. Und politisch ist die ISS zum Teil der russischen Kriegspropaganda verkommen. Der Betrieb der Raumstation ist inzwischen kaum mehr als reiner Selbstzweck. Man fliegt hin, weil sie da ist. Ein Trauerspiel, das man so schnell wie möglich beenden sollte. | | | | | | | | | | Außenposten der Menschheit: Die Internationale Raumstation rast mit etwa 28.000 Kilometern pro Stunde um die Erde herum – seit mehr als einem Vierteljahrhundert. (NASA) | | | | | | Natürlich ist die Raumstation extrem beeindruckend: Sie ist so groß wie ein Fußballfeld, die Module sind so geräumig wie das Innere eines Jumbo-Jets und der ganze Komplex kreist in 400 Kilometern Höhe alle anderthalb Stunden um die Erde. Rund 150.000 Runden hat die ISS bereits absolviert. Doch den Besatzungen ergeht es wie dem Hamster im Rad: immer unterwegs, aber sie kommen nicht voran (auch wenn die bisher zurückgelegte Strecke einer Reise zum Zwergplaneten Pluto am Rand des Sonnensystems entspricht). | | | | | Forschung im All als Feigenblatt | | | | | Nach einem Vierteljahrhundert sollten alle Beteiligten mal ehrlich auf die Träume von einst blicken. Die Bilanz ist ernüchternd. Ja, in der Schwerelosigkeit finden interessante wissenschaftliche Experimente in den Bereichen Materialwissenschaft, Physik, Medizin und Biologie statt. Es geht um das Wachstum von Proteinkristallen, um die Bläschenbildung beim Sieden von Flüssigkeiten oder das Erforschen neuer Legierungen (dort oben lassen sich unterschiedlich schwere Flüssigkeiten perfekt durchmischen – das Fruchtfleisch im Saft sinkt nicht zu Boden). Allerdings ließen sich die meisten dieser Experimente auch viel kostengünstiger automatisch auf Satelliten durchführen – Menschen vor Ort sind nicht zwingend nötig. Die Besatzungsstärke der ISS liegt bei sieben Personen. Aber die kommen zusammen kaum auf 60 Wochenarbeitsstunden für die Wissenschaft. Die meiste Zeit sind die Menschen in den Modulen mit Wartungsarbeiten und sportlichen Aktivitäten beschäftigt – damit die Station und sie selbst in Schuss bleiben. Einst wurde die ISS als riesiges Forschungslabor angepriesen. Ja, das Raumlabor Columbus, gebaut bei Airbus in Bremen, ist ein Stück deutscher Ingenieurskunst. Ich habe es viele Male in der Konstruktionshalle bestaunt und beim Start mit der US-Raumfähre Atlantis 2008 gejubelt. So schön Columbus ist – die Wissenschaft nahm im Orbit nie die Rolle ein, die die Agenturen einst versprochen hatten. Die schwerelose Forschung war immer nur ein Feigenblatt für den Betrieb der Raumstation, niemals Hauptzweck. Viele Experimente drehen sich übrigens um medizinische Aspekte – vor allem darum, wie Menschen gesundheitlich mit einem langen Aufenthalt im All klarkommen. Die ISS ist eine Art Testlabor für lange Reisen zum Mond und zum Mars. Das ist Raumfahrt für die Raumfahrt. | | | | | | | | | | Endlich oben! Im Februar 2008 wurde Europas Raumlabor Columbus an die Raumstation angeschlossen, u.a. vom deutschen Astronauten Hans Schlegel. Columbus machte die ISS zur fliegenden Forschungseinrichtung. (NASA) | | | | | | | Trotz des Krieges: Bei der ISS läuft alles wie immer | | | | | | Einst ist man mit großen politischen Zielen gestartet. In den 1990er Jahren taten sich Russland und die USA zusammen, um gemeinsam einen Außenposten der Menschheit im Weltall zu bauen (die Sowjetunion hatte mit den Raumstationen Saljut und MIR große Erfahrung in diesem Bereich). Trotz aller Konflikte am Boden funktioniert die Zusammenarbeit im All reibungslos – die Vereinigten Staaten, Russland, Kanada, Japan und Europa kommen im Orbit gut miteinander aus. Doch die Module sind keineswegs das politikfreie Idyll, in dem Menschen aus unterschiedlichen Ländern völlig unproblematisch miteinander leben – wie es Raumfahrtagenturen gerne darstellen. So zeigten russische Kosmonauten die Flaggen der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk. Die NASA „tadelte“ (so wörtlich!) daraufhin Russland, weil es im Zusammenhang mit der Invasion der Ukraine politische Aktivitäten auf der ISS durchführe. Aber man traute sich nicht einmal, den Flaggenzwischenfall konkret zu benennen. Die ESA zog vorsichtshalber gar keine Konsequenzen. Auf meine Nachfrage bei einem Pressegespräch erklärte ihr Chef Josef Aschbacher, man wolle das Leben der Menschen an Bord nicht gefährden. Das ließe sich aber am besten schützen, indem man keine Menschen mehr hochschickt. | | | | | Einst Raumlabor, heute kosmischer Musikdampfer | | | | | Wenn ein großer Partner aussteigt, ist die ISS am Ende. Die Raumstation lässt sich nur gemeinsam betreiben – oder gar nicht. Damit ließe sich Russland wirklich treffen: Denn ohne die ISS wäre die stolze kosmonautische Raumfahrt Russlands ziemlich erledigt. Die Sojus-Kapseln können nur sehr wenige Tage im All bleiben – und die chinesische Raumstation Tiangong ist von Baikonur aus gar nicht zu erreichen, weil der Startplatz zu weit nördlich liegt. Doch NASA und ESA scheuen den Ausstieg. Die Raumstation, so meinen sie, sei wichtig für die beginnende kommerzielle Nutzung der Erdumlaufbahn – und natürlich braucht man ein Ziel im Orbit, um die eigenen Astronautinnen und Astronauten bei Laune zu halten. Wer rund 60 Millionen Euro locker hat, kann inzwischen Urlaub auf der ISS machen. Die Station ist teurer als das beste Grandhotel, hat aber nicht einmal den Standard einer Jugendherberge. In den Modulen dröhnt die Lüftung extrem laut und es riecht etwas streng. Denn eine Dusche gibt es in der Umlaufbahn nicht – die Körperpflege geschieht mit feuchten Tüchern. Immerhin: Es ist mit Vollpension! Die Damen und Herren Touristen nächtigen übrigens gern im Raumlabor Columbus, weil das vergleichsweise leise ist. Dort hindern sie dann die Stammbesatzung an der Forschungsarbeit, motzte mir gegenüber mal ein Profiastronaut. Die einst stolze ISS verkommt zum kosmischen Musikdampfer. Das hat sie nicht verdient. | | | | | | | | | | Der Röntgenhimmel, beobachtet von eROSITA in seinen ersten Jahren im All. Im Röntgenbereich fallen vor allem Überreste von Supernova-Explosionen, die Umgebung Schwarzer Löcher und Galaxienhaufen auf. (MPE) | | | | | | Wegen des Krieges: Röntgenteleskop liegt still | | | | | Dass man bei der Internationalen Raumstation so tut, als wäre nichts geschehen, ist deshalb so unverständlich, weil man beim Röntgenteleskop eROSITA ganz anders vorgeht. Dieses Instrument, gebaut vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching, befindet sich auf dem russischen Spektr-RG-Satelliten. Nur Tage nach dem Vollangriff auf die Ukraine 2022 hat man es in den Schlafmodus versetzt. Seitdem liefert es keinerlei Daten mehr. Es ist absurd: Bei der ISS zuckt man nur mit den Schultern. Dabei ist die ISS auf höchster politischer Ebene angesiedelt – und die kosmonautische Raumfahrt ist für Russland fast identitätsstiftend. Dagegen ist eROSITA – ein rein wissenschaftliches Projekt auf Ebene des Akademie-Instituts – lahmgelegt. Das Teleskop ließe sich binnen weniger Tage wieder in Betrieb nehmen. Ob die Bundesregierung und Forschungsministerin Dorothee Bär dazu den Mut haben? Die ISS wird im Kern nicht mehr gebraucht. Längst sind kommerzielle Raumstationen in der Umlaufbahn in Planung, auch unter Beteiligung europäischer Firmen wie Airbus. Die werden sehr viel kleiner und preiswerter als die völlig überdimensionierte ISS. Ein staatlich finanziertes Astronauten-Corps ist inzwischen auch eher Luxus als Notwendigkeit. Es gab schon etliche rein privat durchgeführte Missionen im Erdorbit. Der Flug der deutschen Ingenieurin Rabea Rogge ist ein Paradebeispiel für den neuen Weg ins All: In fast 50 Jahren hat es die staatliche deutsche Raumfahrt nicht vermocht (oder nicht gewollt?), eine Frau aus Deutschland in den Erdorbit zu schicken. Frau Rogge hat dies mit einer kommerziellen Mission geschafft. Wer, wie ESA & Co., stets die Bedeutung der Kommerzialisierung des Weltraums betont, der sollte dann auch einsehen, dass aus Steuermitteln finanzierte Flüge allmählich aus der Zeit gefallen sind. Immer wieder heißt es, von der astronautischen Raumfahrt ginge eine Faszination aus, die viele junge Menschen mathematisch-naturwissenschaftliche Berufe ergreifen lässt. Diese Behauptung überzeugt mich nicht. Finnland, Island und Singapur sind sicher Hightech-Länder aus dem Bilderbuch mit viel motiviertem Nachwuchs. Aber noch nie war jemand aus diesen Ländern in der Umlaufbahn. Ach, guck! | | | | | | | | | | Schwereloser Spaß auf der Raumstation: Auf diesem Gruppenbild rahmt die siebenköpfige Profibesatzung die vier Touristen (Mitte, blau-schwarze Kleidung) ein. Rechts oben – kopfüber – ist der deutsche Astronaut Matthias Maurer zu sehen. (NASA) | | | | | | Die NASA zerfällt, Europa fehlt der Mut | | | | Die ISS wird sich wohl weiter um die Erde schleppen, ihre Insassen werden Purzelbäume in der Schwerelosigkeit schlagen und allen erklären, wie toll es doch dort oben ist. Aber in etwa fünf Jahren ist aus technischen Gründen Schluss. Dann wird der Oldtimer ISS im Südpazifik versenkt. Und danach? Ein echtes Nachfolgeprojekt, eine Art ISS-2, wird es nicht geben. In der Mondumlaufbahn ist das Gateway geplant, eine Mini-Raumstation unter Führung der USA, von der aus irgendwann mal Menschen zur Mondoberfläche absteigen sollen. Zumindest bei den ersten Flügen des Artemis-Programms ist Europa noch dabei. Doch auf künftige Großprojekte mit der NASA sollten wir nicht mehr setzen. Seit Beginn dieses Jahres hat schon ein Viertel der Belegschaft die US-Weltraumbehörde verlassen – zumeist sehr erfahrene Leute, die wissen, wie man eine Weltraummission plant und durchführt. Die NASA ist de facto kurz vor dem Hirntod. Ihre im Weltraum-Newsletter Nr. 04 skizzierte Zerstörung kommt genau wie befürchtet. Es droht sogar, dass die NASA zu einer Abteilung des US-Transportministeriums wird. Ich war letzte Woche auf der Herbsttagung des Europäischen Instituts für Weltraumpolitik in Wien. Eine Rednerin fragte das Publikum, wer es für möglich hält, dass die NASA in einem Jahr als eigenständige Behörde verschwunden sein wird. Rund die Hälfte hat sich gemeldet. Europa muss sich jetzt auf eigene Stärken besinnen, aus unsinnigen Gemeinschaftsprojekten wie der ISS aussteigen und bei allen nötigen Veränderungen in der Raumfahrt auch die Kraft aufbringen, auf überflüssige Aspekte zu verzichten. Wir haben – siehe Zeitenwende (Newsletter Nr. 12) – riesige Aufgaben vor uns und müssen und können uns nicht alles leisten. Mehr Mut! Wir sind besser als eine abgehalfterte Raumstation. | | | | | | | | | | | Dirk Lorenzen berichtet seit mehr als 30 Jahren über Astronomie und Raumfahrt. Den Bau der Internationalen Raumstation hat er von Anfang an verfolgt und viele Höhen und Tiefen miterlebt. Der ISS wünscht er ein würdiges Ende. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Der Beobachtungstipp | | | | | | | | | | | | | | | | Heute wäre ein Hinweis passend, wie sich die ISS am Himmel beobachten lässt. Leider zieht die Raumstation erst ab Ende kommender Woche wieder als heller Lichtpunkt über den Abendhimmel. Daher ist sie erst im kommenden Newsletter Thema dieses Tipps. Heute geht es um unseren Mond und den Riesenplaneten Jupiter: Am 9. (hier dargestellt), 10. und 11. November stehen die beiden recht dicht beieinander – zudem funkeln die Zwillingssterne Kastor und Pollux in der Nähe. Das Vierergestirn zeigt sich jeden Abend etwas anders – immer zu sehen zwischen 22 Uhr und dem Beginn der Morgendämmerung. (Stellarium) | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Das tägliche Stück vom Himmel | | | | | | | | | | | | Etwa alle zehn Jahre erscheint in Deutschland die Denkschrift zur Astronomie – darin stecken die Fachleute den künftigen Kurs der Himmelsforschung ab. An sich wollte man die neue Denkschrift auf der Tagung der Astronomischen Gesellschaft im September in Görlitz präsentieren. Doch es besteht weiterer Denkbedarf. Das liegt an der NASA und an wunderlichen Entscheidungen des Forschungsministeriums, erklärt die Sternzeit vom 2. November. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Verspätetes Strategiepapier: Deutschlands Astronomen müssen noch mehr denken | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Sie wollen täglich ein Stück vom Himmel hören? Dann abonnieren Sie hier die Sternzeit in der Deutschlandfunk App. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Neben der ISS umkreisen unzählige Satelliten die Erde. Rund 13.000 sind es mittlerweile. Daher ist nicht zu leugnen: Die wirtschaftliche Bedeutung des Weltraums ist groß. Doch Regulierung gibt es kaum. Währenddessen arbeiten Tech-Milliardäre an ihrer eigenen Raumfahrt-Vision, inspiriert von Science-Fiction-Literatur. | | | | | | | | | | | | | Kalenderblatt: Abkommen über den Bau der ISS | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | All ohne Regeln: Wirtschaftsinteressen im Weltraum | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Science Fiction als Inspiration: Die Visionen der Tech-Milliardäre | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Ihnen gefällt dieser Newsletter? | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Mr. Sternzeit – Der Deutschlandfunk Weltraum-Newsletter | | | | | | © Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts
Gesetzlicher Vertreter: Stefan Raue (Intendant) Postanschrift: Raderberggürtel 40, 50968 Köln Umsatzsteuer-Identifikations-Nummer: DE 123052353 E-Mail: hoererservice@deutschlandradio.de Telefon: 0221-345 18 31
Verantwortlich im Sinne des Rundfunkstaatsvertrags: Jona Teichmann (Programmdirektorin) | | | | | | | | | | | | | | | | | | |